Sektionen

Filmprogramm

Timetable Film

Die Filmprogramme des EMAF geben einen breiten Überblick über das internationale experimentelle Filmschaffen – von aktuellen Kurz- und Langfilmen über historische Werke bis hin zu audiovisuellen Performances und Expanded Cinema.

Thematische Schwerpunkte der kurzen und mittellangen Filme im Internationalen Wettbewerb sind in diesem Jahr die Auseinandersetzung mit familiären Beziehungen, Intimität und Häuslichkeit, die Traumata von Vertreibung und Entwurzelung und künstlerische Zeitreisen zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wie wird die Realität staatlicher Grenzen und sozialer Trennungen erfahren und überwunden? Was ermöglichen Solidarität und Widerstand? Wie leben unsere Erinnerungen fort, und wie imaginieren wir Neues durch Technologie, Träume und Ritual?

Timetable International Competition

Auch die vier aktuellen Langfilme im Programm vermitteln vielschichtige Eindrücke von Orten im Wandel, umstrittenen Geografien und sich überlagernder Zeiten. Sie bewegen sich durch gelebte und filmische Landschaften, beobachten die Veränderungen, die Modernisierungs- und Migrationsprozesse in ländlichen Regionen verursachen, erzählen eine alternative Geschichte des Lebens auf der Erde, oder studieren die Schnittstellen zwischen Architektur und Ideologie.

Timetable Feature Film

Dry Ground Burning_Joana Pimenta & Adirley Queirós
Es gibt keine Angst_Anna Zett
Fantasmas cromáticos_Claudio Caldini
Journeys from Berlin_Yvonne Rainer
Dorm_Your Bros Filmmaking Group
Passing Drama_Angela Melitopoulos
Last Things_Deborah Straman
Let Us Flow_Sophio Medoidze

Mit Implication. On Documentary Ethics setzen wir eine Reihe fort, die im vergangenen Jahr mit großem Erfolg begann. Wir laden hierzu vier Künstler*innen aus dem Internationalen Wettbewerb ein, Filme auszuwählen und mit uns zu diskutieren, die das Thema dokumentarischer Ethik im Film aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Dabei geht es etwa um die Ethik der (künstlerischen) Zusammenarbeit, die Schnittstellen zwischen Dokumentarischem und Performativem oder die Darstellung von Nähe, Begegnung und Intimität.

Timetable Implication. On Documentary Ethics

Ein weiteres Highlight bildet das von Rachael Rakes kuratierte, sechsteilige Film- und Performanceprogramm zum Festivalthema Trembling Time. Ausgehend von der Annahme, dass die Idee einer linear fortschreitenden Zeit, die bis heute unser Denken und Wahrnehmen, unser ökonomisches und politisches Handeln bestimmt, ein Konstrukt ist, und zwar ein potenziell existenzbedrohendes, beschäftigen sich die Arbeiten in diesem Programm mit alternativen Zeit- und Wertvorstellungen.

Timetable Trembling Time

Als Artist in Focus würdigt das EMAF in diesem Jahr die Künstlerin Angela Melitopoulos. Seit Mitte der 1980er Jahre realisiert sie Videos, Installationen und Soundarbeiten, auch in Kooperation mit anderen Künstler*innen, Theoretiker*innen oder aktivistischen Netzwerken. Das EMAF präsentiert eine Auswahl aus ihrem umfassenden Werk, von frühen experimentellen und aktivistischen Videos bis hin zu aktuellen dokumentarischen Filmen. Im Dialog mit Melitopoulos‘ Arbeiten sind auch Werke anderer Künstler*innen zu sehen.

Timetable Artist in Focus. Angela Melitopoulos

An der Schnittstelle von Film und Performance bewegt sich ein neues, mehrjähriges Projekt, das das EMAF in Kooperation mit dem Künstler*innenkollektiv LaborBerlin durchführt. Unter dem Titel SPECTRAL. Unburdened Recollections werden historische und selten gezeigte Expanded Cinema-Arbeiten und Filmperformances rekonstruiert und beim Festival wiederaufgeführt. In Gesprächen mit den beteiligten Künstler*innen und Kurator*innen wird außerdem diskutiert, wie diese flüchtigen Kunstwerke jetzt und in Zukunft bewahrt und verfügbar gehalten werden können. Das Projekt SPECTRAL wird unterstützt durch:

Co-funded by the European Union Berlin Senatsverwaltung für Kultur & Europa

Timetable SPECTRAL. Unburdened Recollections


Preise und Jury Statements

EMAF Award

Mangosteen von Tulapop Saenjaroen

Eine surrealistische erzählerische Traumwelt, der es auf meisterhafte Art und Weise gelingt, Archetypen, Charaktere, Musik und Humor miteinander zu verbinden. Es handelt sich offensichtlich um das Werk eines talentierten Regisseurs, der sein Handwerk versteht. Wir freuen uns, den EMAF-Preis an Mangosteen von Tulapop Saenjaroen zu verleihen.

besondere Auszeichnung der Jury

If You Don’t Watch the Way You Move von Kevin Jerome Everson

Die besondere Auszeichnung der Jury erhält Kevin Jerome Everson alias The Maestro für sein subversives Porträt des kreativen Prozesses und für seine Art, Hip-Hop-Kultur mit experimentellen Formen von Musik und Film in einen Dialog zu bringen.

Dialog Award

Sight Leak von Peng Zuqiang

Für den sensiblen Gebrauch der Kamera, die eine Reise durch eine urbane Landschaft nachzeichnet, und für den Einsatz der Stimmen, die den Text vortragen und kommentieren. Der Film kontrastiert und kritisiert die westlichen philosophischen Vorstellungswelten mit den queeren Realitäten des Ostens. Wir verleihen den Dialog-Preis an Sight Leak von Peng Zuqiang.

besondere Auszeichnung der Jury

ul-Umra von Gautam Valluri

Für die kontinentübergreifende Dreiecksbeziehung zwischen Religion, Architektur und Identität sowie für die herausragende Nutzung des analogen Formats verleihen wir die besondere Auszeichnung der Jury an ul-Umra von Gautam Valluri.

EMAF Medienkunstpreis des Verbands der deutschen Filmkritik (VdFK)

Living Room under the Flyover von Karolina Bregula

Living Room under the Flyover, eine Zusammenarbeit von Karolina Breguła, Shi-Fen Zhang, Rong-Yu Li and Ya-Qiao Li, überzeugt durch seine kinematografisch sensible Darstellung einer politischen Protestaktion gegen Wohnungsverdrängung in Taiwan. In Anlehnung an die Inszenierung und Performance einer prekären Wohnsituation unter der Autobahnbrücke im Bahnhofsviertel von Tainan, verknüpft der Film souverän komponierte Bildeinstellungen im Wechsel zwischen statischer Fotografie und subtiler Dynamik. Indem der Film somit das Publikum in die Position des Aufspürens und Begutachtens von Bewegung bzw. Stillstand versetzt, findet der Film nicht zuletzt Ausdruck für den langen Atem, der den Teilerfolg des politischen Widerstandes schließlich ermöglichte.

besondere Auszeichnung der Jury

Es gibt keine Angst von Anna Zett

Die tollsten Filme des diesjährigen Festivals waren diejenigen, welche uns Bilder gezeigt haben, die nach neuen Erzählformen suchen, auf der Suche nach neuen Gedanken sind und eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Gesehenen und Gefühlten ermöglichen. Dieser Film widmet sich der Frage, welche Haltung man im Nachhinein zu einem revolutionären Vorgang einnehmen kann und ob es möglich ist, durch den künstlerischen Umgang mit Archivmaterial retrospektiv ein Teil der Revolution zu werden. Er tastet sich vorsichtig an seine Geschichte heran und sucht beständig nach einer Haltung zum von ihm beobachteten historischen Geschehen. Die Bilder stellen einen Gedankenprozess dar und laden das Publikum gleichzeitig ein, eine eigene Haltung zum Geschehen zu entwickeln. Sowohl seine Auseinandersetzung mit einem fast vergessenen Teil ostdeutscher Geschichte als auch sein formales Bewusstsein, von einer bereits geschehen Vergangenheit mit Archivmaterial zu erzählen, machen diesen Film zu einer besonderen Erfahrung. Daher verleihen wir die besondere Auszeichnung der Jury in diesem Jahr an ES GIBT KEINE ANGST von Anna Zett.

Ausstellung

Ausstellung

In “Trembling Time” werden verschiedene Konzepte von Zeit und Zeitlichkeit verhandelt. Während die menschliche Existenz grundlegend von den Kategorien Raum und Zeit geprägt wird, bleibt Zeit schwer greifbar, lässt sich nur schwer definieren und durchdringen. Zeit ist weder absolut noch objektiv, sondern äußerst formbar in der menschlichen Erfahrung. Wie wir sie entwickeln, wahrnehmen, messen, wie wir mit ihr umgehen, sie denken und diskutieren und verändern, geschieht in Abhängigkeit von Gesellschaftsstruktur und Kontext.

So bildet die abstrakte, quantitative Zeitwahrnehmung, die unseren (Arbeits-) Alltag und Lebensrhythmus formt - heute noch weiter forciert von digitalen Technologien - lediglich eine stark limitierte Facette menschlicher Erfahrung: Wir lassen die Vergangenheit hinter uns und bewegen uns in eine veränderte oder veränderbare Zukunft. Gleichzeitig stecken in diesem linearen Konzept von Zeit die Fortschrittserzählungen von Kolonialismus und kapitalistisch organisierten Gesellschaften. Das Konzept linearer Zeit diente der Abstufung von Gruppen nach ihren kulturellen Differenzen – von fortschrittlich nach rückständig – und legitimierte so koloniale Interventionen mit dem Ziel der “Zivilisierung”.

Die teilnehmenden Künstler*innen und Künstler*innengruppen wenden sich alternativen Zeitdimensionen jenseits des Verständnisses von linearer oder menschlich-gefühlter Zeit zu, oder versuchen, Zeit und Zeitlichkeit im Kontext dekolonialer künstlerischer Praktiken zu denken. Anhand von Erfahrungen und Archivmaterial, historischen Ereignissen, aber auch über Linguistik, Memes, oder chinesische Volksmärchen, anhand von Gletschereis, radioaktiven Zerfallsprozessen, Ginkgobäumen, Walfossilien erforschen sie das vielschichtige Wesen von Zeit.

Eva van Tongeren: "In the Belly of the City"
Clarissa Thieme & Nihad Kreševljaković: "Do You Remember Sarajevo – Multitude"
Thomas Mader: "all heat and no light"

Die Zeitlichkeiten von geologischen und planetarischen Phänomenen, die Deep Time, weisen weit über die Zeitskala des Menschen bzw. der gesamten menschlichen Spezies hinaus. Angesichts der voranschreitenden Klimakrise oder der Existenz von radioaktiven Abfällen sind wir gezwungen, Zeit in einem ganz anderen Maßstab zu denken. Die Künstler*innen in Trembling Time nähern sich solchen Fragen mit dokumentarischen Mitteln, mit Methoden des Storytellings, über Video, Sound und Komposition, Skulptur, in Animation, VR oder Gamedesign.

Während sich einige der gezeigten Arbeiten mit verschiedenen Zeitlichkeiten über das menschliche Empfinden, Messen und Dasein hinaus befassen, wenden sich andere Kunstwerke den Beziehungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu. Dabei richten sie ihren Blick auch auf experimentelle Sprachen der Kulturproduktion und -verbreitung sowie auf alternative Geschichte/n und Möglichkeitsräume, die in der Auseinandersetzung mit Archiven erarbeitet werden können.

Der Titel Trembling Time verweist auch auf die Zeit, in der wir uns aktuell befinden, erschüttert durch den Angriffskrieg auf die Ukraine. Angesichts eines anhaltenden Krieges und einer Zeit, die mittlerweile als “Permakrise” beschrieben wird, stellt sich die Frage, wie man sich mögliche Zukünfte vorstellen kann.

Das derzeitige, vorherrschende Verständnis von Zeit verleitet oft dazu, Ereignisse als isolierte und begrenzte Phänomene zu betrachten, anstatt sie in ihrer komplexen und sich wandelnden Natur zu begreifen. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten fordern dazu auf, eine tiefere Verbindung zu den Ereignissen herzustellen, die unsere Welt formen, und uns dazu ermutigen, gerechte und nachhaltige sozio-temporalen Modelle zu formulieren und uns für eine dementsprechende Zukunft zu engagieren.

Mit Beiträgen von: Imran Channa, Freefilmers Collective, Thomas Mader, Martin Recker und Paul Hauptmeier, Tang Han, Clarissa Thieme und Nihad Kreševljaković, Eva van Tongeren, Clea T. Waite, Weronika Wysocka

Talks

Talks

Angesichts der allgemeinen weltweiten Krise wird das Gefühl, dass die Zeit davonläuft, immer ausgeprägter. Was passiert, wenn der “Point of no Return” erreicht ist? Wie kann man sich noch eine Zukunft vorstellen und sie gemeinsam gestalten? Können die nächsten Generationen die Zeit aufholen, die die vorangegangenen verloren haben?

Ein Leben in Ruinen ist weder leicht noch erstrebenswert. In Zeiten umwelt- und gesellschaftspolitischer Schäden können Ruinen wörtlich oder metaphorisch gemeint sein. In beiden Fällen sind sie jedoch mit dem Gedanken eines grenzenlosen und unbestrittenen Fortschritts verbunden, denn sie sind das Ergebnis eines beschleunigten Rhythmus, der nach Effizienz, Optimierung und wirtschaftlicher Prosperität ruft. Ruinen weisen die Spuren der Grausamkeit von Ausbeutung und Extraktion auf. Zugleich bergen sie jedoch das Potenzial, durch ihre Risse und Lücken hindurchzusehen und die Grundlage für ein lebenswertes Leben zu schaffen.

Talks_Kris de Deckere_Bike Generatori
Talks_Planetary Metabolism

Die Talks des EMAF 2023 möchten die Zeit von Linearität, Produktivität und Fortschritt entkoppeln und erforschen sie im Hinblick auf die Zeitlichkeit und den Rhythmus unterschiedlicher Welten. Dabei stehen Konzepte von Degrowth im Vordergrund, die die Chancen und Herausforderungen einer Verringerung der menschlichen Aktivitäten und deren Auswirkungen aufzeigen. Die diskutierten Ideen, Vorschläge und Projekte verdeutlichen die Notwendigkeit, die Grenzen des Planeten zu respektieren und Abhängigkeiten auf sozialer und ökologischer Ebene anzuerkennen.

Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf die Bedeutung der Technologie gelegt, indem die Kontroversen rund um das Schaffen, Nehmen oder Verschwenden von Zeit sowie die Gestaltung der Zukunft untersucht werden. Es werden Beispiele für technologiearme, traditionelle oder gemeinschaftsbezogene Kenntnisse als Modelle für eine nachhaltigere Lebensweise vorgestellt. Initiativen und Institutionen, die auf einen Verhaltens- und Systemwandel abzielen und sich für diesen einsetzen, werden hinsichtlich ihres Programms zur Nutzung von Energie, Ressourcen und Zeit erörtert.

Auch wenn es nicht möglich ist, die Zeit zurückzudrehen, ist die Option, sich von der Idee des Fortschritts zu verabschieden, das Tempo zu drosseln und zu verändern, durchaus realisierbar. Die Redner*innen des EMAF 2023 greifen diese Möglichkeiten auf und untersuchen, wie dies vom Individuum zum Kollektiv und von einer Gemeinschaft zur Gesellschaft geschehen kann.

Campus

Campus

Den EMAF Campus gestalten in diesem Jahr Kunsthochschulklassen aus Leipzig, München und Mainz sowie die Universität und Hochschule Osnabrück. In eigens für das Festival entwickelten Ausstellungen, Filmscreenings und Workshops präsentieren sie aktuelle Projekte – von Video- und Audioinstallationen über kinetische Objekte bis hin zu kollektiv erarbeiteten Filmen.

Unter dem Titel Netze flicken widmet sich die Klasse der Akademie der Bildenden Künste München unterschiedlichen natürlichen und sozialen Ökologien – den fragilen Verbindungen zwischen Körpern und Räumen, Subjekt und Gemeinschaft.

Die Gruppe der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig erkundet in Sorry, I Have to Leave Bewegungen der Zeit und Momente des Übergangs, wie sie an Orten des Erinnerns und (Auf-)Bewahrens, aber auch in Gesten der Solidarität und des Widerstands sichtbar werden.

Campus_Musielak_Dolgowska
Campus_Ingmar_Stange
Campus_Clarita_Maria
Campus_Lydi_Marx

Die Filmklasse der Kunsthochschule Mainz entwickelt für das Filmtheater Hasetor eine neue, kollektive Filmarbeit. The Best Remaining Seats aktiviert dieses spezifische Kino und seine Geschichte, erkundet aber auch, was Kino (heute) als gemeinsamer Erfahrungsraum bedeutet.

Studierende der Universität und Hochschule Osnabrück und der Musik- und Kunstschule beteiligen sich mit Videoarbeiten, Workshops und Installationen. Ob sie als „Kunstronauten” die künstlerische Immersion in Zeiten der Veränderung und der Entwicklung erforschen, ob sie neue Lösungen für den Umgang mit digitalen Medien erfinden oder ob sie sich mit den lokalen Grünflächen auseinandersetzen, um so die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft zu bewahren - die Studierenden der drei Institutionen präsentieren vielfältige Arbeiten, die an verschiedenen Orten in der Osnabrücker Innenstadt gezeigt und ausgestellt werden.