Selected and introduced by Anna Zett.

Auf die Frage hin, welcher Film mein Verständnis von dokumentarischer Ethik geprägt hat, fallen mir viele Filme ein, die ich nicht zeigen möchte. Mir fallen Filme ein, die im Studium oder im Kunstkontext präsentiert wurden, weil sie ethisch problematisch und gerade deshalb aus historischer Perspektive interessant sind. Ich versuche mein Verständnis von dokumentarischer Ethik zu beschreiben und verstehe, dass mich vor allem die Frage beschäftigt, welche Beziehung ein Film mit mir als Zuschauerin eingeht und welche Rolle die dargestellten Personen und Ereignisse in dieser fiktiven Gruppenkonstellation spielen (sollen). Als Zuschauende erfasse ich nicht nur kognitiv, was ein Film auf der ästhetischen und politischen Ebene inszeniert, sondern ich erlebe emotional, was er auf der Beziehungsebene mit mir tut. Welche Erfahrung will er mir ermöglichen und wieviel Raum für eigene Assoziationen öffnet er? Die genaue Wahrnehmung meiner eigenen affektiven und analytischen Reaktionen auf den Film helfen mir zu verstehen, was wohl die Aufgabe eines Films ist.

88:88 von Isiah Medina habe ich 2016 bei einem Filmfestival gesehen, zu dem ich mit meinen Essayfilm This Unwieldy Object eingeladen war. Später postete ich einen Link zum Film auf Facebook und schrieb dazu: „When I saw this film at November Festival in London a few weeks ago it made a massive impression on me. I think I saw a mathematical, messy, extremely controlled and painfully intimate film about infinity or poverty, or both. 88:88 comes very close to what I imagine a brain-upload to look like.“ Da ich mich künstlerisch und persönlich heute mit anderen Fragen beschäftige als damals, würde ich die Seherfahrung heute anders beschreiben. Auch die brüchige Gegenwart, die in diesem Film die Hauptrolle spielt, scheint heute eine andere zu sein. Aber hinsichtlich meiner Lust an Filmen mit einem großen emotionalen und intellektuellen Spielraum ist dieser Film für mich weiterhin ein sehr inspirierendes Beispiel.