Die Filmprogramme des EMAF geben auch in diesem Jahr wieder einen breiten Überblick über das internationale experimentelle Filmschaffen – von aktuellen Kurz- und Langfilmen über historische Werke bis hin zu audiovisuellen Performances und Expanded Cinema. Zahlreiche Künstler*innen werden persönlich beim Festival anwesend sein, um ihre Beiträge vorzustellen und mit dem Publikum zu diskutieren. Zu sehen sind 70 Filme und Filmperformances aus insgesamt 32 Ländern.
Aktuelle Auswahl
Im Zentrum der Filmprogramme steht der Internationale Wettbewerb. Thematische Schwerpunkte der kurz- und mittellangen Filme sind in diesem Jahr die Auseinandersetzung mit familiären Beziehungen, Intimität und Häuslichkeit, die Traumata von Vertreibung und Entwurzelung und künstlerische Zeitreisen zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wie wird die Realität staatlicher Grenzen und sozialer Trennungen erfahren und überwunden? Was ermöglichen Solidarität und Widerstand? Wie leben unsere Erinnerungen fort, wie imaginieren wir Neues durch Technologie, Träume und Ritual?
Video- und Audiomaterial aus dem Archiv der DDR-Opposition bildet die Grundlage für Anna Zetts Film Es gibt keine Angst (DE 2023). Mittels einer pulsierenden Collage aus Underground-Musik, Lyrik, privaten und journalistischen Aufzeichnungen unternimmt sie eine emotionale und intellektuelle Annäherung an Erfahrungen von Gewalt und politischer Selbstermächtigung. Mangrove School von Filipa César & Sónia Vaz Borges (PT/DE/FR 2022) ist Teil einer langjährigen künstlerisch forschenden Auseinandersetzung mit der Geschichte des dekolonialen Widerstands in Guinea Bissau und seinem Nachleben in der Gegenwart. In atmophärisch dichten Bildern rekonstruiert der Film das Zusammenleben und -lernen in den historischen Guerillaschulen in den Mangrovenwäldern.
In James Richards’ Video Qualities of Life: Living in the Radiant Cold (DE 2022) verbinden sich stillebenhafte Aufnahmen von eigenen und fremden Lebensräumen, von Körpern und Infrastrukturen mit Fragmenten musikalischer Scores zum soghaften Bild einer Gegenwart im dauerhaften Schwebezustand. Auch Peng Zuqiangs Sight Leak (CN 2022) navigiert an der Grenze zwischen intimen Innen- und anonymen Außenräumen. Lose angelehnt an Roland Barthes‘ Schriften über China und deren homoerotischen Subtext, bewegt sich hier ein Flaneur durch öffentliche Räume und denkt nach über die Blicke und Sehnsüchte, die sich dort begegnen, die angedeutet, verweigert und gespiegelt werden. Oreet Ashery folgt in ihrem experimentellen Roadmovie Selfish Road (UK/DE 2022) den Infrastrukturen der Trennung und Verblendung, Erinnerung und Verbindung durch eine politisch zerklüftete Landschaft.
Auch die vier aktuellen Langfilme im Programm vermitteln vielschichtige Eindrücke von Landschaften im Wandel, umstrittenen Geografien und sich überlagernder Zeiten. Sophio Medoidzes dokumentarisches Langfilmdebüt Let Us Flow (GE/UK 2022) beobachtet in der entlegenen georgischen Bergregion Tusheti die Veränderungen, die Modernisierungs- und Migrationsprozesse dort verursachen und die Bedeutung überlieferter Rituale, die kollektive Bindungen schaffen, aber auch soziale Ausschlüsse befestigen.
In Schlachthäuser der Moderne (DE 2022) widmet sich Heinz Emigholz dem Werk zweier südamerikanischer Architekten: Francisco Salamone, dessen Arbeiten der 1930er Jahre dem Geist einer faschistisch-futuristischen Moderne verpflichtet sind, und Freddy Mamani Silvestre, dessen Projekte sich dem Diktat der westlichen Moderne radikal widersetzen. Sie bilden schließlich den Hintergrund für eine ideologische Verortung des Berliner Stadtschlosses zwischen Experiment und Restauration.
Mit weiteren Arbeiten von: Udval Altangerel, Parastoo Anoushahpour, Ben Balcom, Karolina Bregula, coyote, Ana Edwards, Kevin Jerome Everson, Sirah Foighel Brutmann & Eitan Efrat, Luke Fowler, Wenqian Gao, Dazhi Huang & Huizhen Zhong, Eginhartz Kanter, Fox Maxy, Hardeep Pandhal & Adam Sinclair, Morgan Quaintance, James Richards, Bassem Saad, Tulapop Saenjaroen, Eri Saito, Deborah Stratman, Gautam Valluri und Gernot Wieland.
Artist in Focus: Angela Melitopoulos
Als Artist in Focus würdigt das EMAF in diesem Jahr die Künstlerin Angela Melitopoulos. Seit Mitte der 1980er Jahre realisiert sie Videos, Installationen und Soundarbeiten, auch in Kooperation mit anderen Künstlerinnen, Theoretikerinnen oder aktivistischen Netzwerken. Das EMAF präsentiert eine Auswahl ihrer Arbeiten, von frühen experimentellen und aktivistischen Videos bis hin zu aktuellen dokumentarischen Filmen. Sie beschreiben Bewegungen durch die Landschaften des Anthropozän (Matrilinear B – Surfacing Earth, 2020), zeichnen die Spuren einer über Generationen hinweg fortgeschriebenen Migrationserfahrung nach (Passing Drama, 1999) oder beleuchten die Verschränkungen von Technologie, moderner Subjektivität und Animismus (The Life of Particles, 2012). Im Dialog mit Melitopoulos‘ Arbeiten werden auch eigens von ihr ausgewählte Werke anderer Künstler*innen zu sehen sein, u.a. von Alain Resnais, Irit Batsry, Joyce Wieland, Helke Sander und dem Newsreel Collective.
Expanded Cinema: Spectral
An der Schnittstelle von Film und Performance bewegt sich ein neues, mehrjähriges Projekt, das das EMAF in Kooperation mit dem Künstler*innenkollektiv LaborBerlin durchführt. Unter dem Titel Spectral: Unburdened Recollections werden historische und selten gezeigte Expanded Cinema-Arbeiten und Filmperformances rekonstruiert und beim Festival wiederaufgeführt. In Gesprächen mit den beteiligten Künstler*innen und Kurator*innen wird außerdem diskutiert, wie diese flüchtigen Kunstwerke jetzt und in Zukunft bewahrt und verfügbar gehalten werden können. Den Anfang machen in diesem Jahr zwei Super-8-Performances des argentinischen Filmemachers Claudio Caldini (kuratiert von Federico Windhausen) und eine multimedial erweiterte 35mm-Arbeit des spanischen Experimentalfilmpioniers José Val del Omar (kuratiert von Esperanza Collado).
Filmprogramm „Trembling Time“
Ein weiteres Highlight bildet das von Rachael Rakes kuratierte, sechsteilige Film- und Performanceprogramm zum Festivalthema „Trembling Time“. Ausgehend von der Annahme, dass die Idee einer linear fortschreitenden Zeit, die bis heute unser Denken und Wahrnehmen, unser ökonomisches und politisches Handeln bestimmt, ein Konstrukt ist, und zwar ein potenziell existenzbedrohendes, beschäftigen sich die Arbeiten in diesem Programm mit alternativen Zeit- und Wertvorstellungen. Zu sehen sind Filme von u.a. Minh Quý Trương, Maxime Jean Baptiste, Seba Calfuqueo & Roberto Riveros aka Neo Cristo, Onyeka Igwe, YOUNG-HAE CHANG HEAVY INDUSTRIES und eine Performance von Aura Satz.